Oman

Von Frau zu Frau. Die Geschichte einer omanischen Tankstelle

Der Anfang vieler Dinge beginnt mit einer Reise. Ich bin ein Sammler. Ein Geschichtensammler. Und gleichzeitig bin ich ein Jäger. Ein Geschichtenjäger. Manchmal finden die Geschichten mich, manchmal finde ich sie. Unverhofft, plötzlich, überraschend. Immer neu begreifend, immer wieder erstaunt um mich blickend, das es möglich ist. Das ist eine Geschichte vom sammeln und jagen.

Eine Reise beginnt immer mit dem ersten Schritt. Diese Reise beginnt mit einer Idee, mit einem zögerlichen Telefonanruf bei Klaus Demel, einem Motorradfahrer und Weltenbummler, der in der Zeitschrift “Motorrad” Reisewilligen anbietet, eine Tour in den Oman zu organisieren. Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Reisegruppe, haben uns mehr oder weniger zufällig durch einen Bericht in einer Motorradzeitschrift kennengelernt. Was uns verbindet ist unsere Leidenschaft für Motorräder und unsere Begeisterung für fremde Länder und Kulturen. Gehen und sehen, das ist der Anfang von allem. So ist es auch bei dieser Geschichte. Unter diesem Motto stand meine Reise, als ich im Januar 2003 mit neun Geländemotorrädern, einem Nissan Patrol, neun Männern und einer weiteren Frau für drei Wochen in den Oman aufbreche.

 

Ein spannender Augenblick.
Die Motorräder wer- den kritisch und mit leicht mulmigem Ge- fühl auf Herz und Nieren geprüft. Sie waren doch alleine auf dem Seeweg von Hamburg nach Dubai unterwegs, und müssen jetzt tapfer mehrere tausend Kilometer als treue Begleiter mitmachen.

Pistenfahrten in einer atemberaubenden Landschaft.

Der Oman ist ein kleines, relativ unbekanntes islamisches Land auf der arabischen Halbinsel, ungefähr so groß wie ganz Deutschland. Im Südwesten grenzt es an den Jemen, im Westen an die Vereinigten Arabischen Emirate. Wüste, karge trockene Flächen, Staub in der Lunge und auf der Haut. Sengende Sonne. Hitze. Das sind die Assoziationen, die einem gewöhnlichen Europäer zum Oman einfallen. Wenn er denn mit diesem kleinen Land auf der arabischen Halbinsel überhaupt etwas verbindet. Für die meisten ist es wohl eher ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ein islamisches Land inmitten anderer islamischer Länder. Unauffällig und dezent. Nie in den Nachrichten zu finden, wenn nur mit einer kleinen unbedeutenden Randnotiz. Unsere Reise beginnt und endet im europäisch geprägten Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten, führt uns über insgesamt 3000 km (davon 2200 km Piste) in den Oman in die traditionsreichen Städte Nizwa, Muscat und Sur und bringt uns über Musandam, das Skandinavien des Orients wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wir fahren durch unzählige kleine ausgetrocknete Flußläufe, sog. Wadis, über einsame Bergplateaus, durch tiefe Schluchten und durch menschenleere Wüstengegenden, erleben bezaubernde Oasen und quirlige Städte mit einem typisch orientalischen Flair. Wir erfahren ein islamisches Land, erleben seine Kultur und Religion, spüren die Herzlichkeit der Menschen. Wir sind ein fahrendes Volk für kurze Zeit. Dazwischen gibt es nur die Landschaft und uns, uns und die Landschaft. Bekannt und unbekannt, vertraut und neu. Manchmal westlich, manchmal typisch arabisch. Schritt um Schritt, Kilometer um Kilometer entdecke ich dieses Land, entdecke ich mich neu. Kann entdecken, was da an Substanz, Traum und Wirklichkeit verborgen liegt. Des Dichters Stoff ist die Welt. Sie ist auch der Stoff des Reisenden. Überall wo man das Leben anpackt, da ist es auch interessant und neu und erstaunlich. Im wachen Reisen liegt die Fülle und Freude des Lebens.

Ich denke an die Frau in der Tankstelle in Sur. Schlank, groß, schwarzgekleidet in ihrem Kaftan, nur der Gesichtsschleier fehlt. Schwarzes glänzendes Haar blitzt unter dem Kopftuch hervor. Ich schätze sie auf Mitte 20. Ihr Gesicht ist scharf geschnitten, lange Wimpern, braune, fast schwarze Augen, umrandet von schwarzem Kohl, der Blick kühl und intensiv, abwartend.

Niemand außer mir ist in der Mittagszeit unterwegs, die meisten Omanis meiden die Mittagshitze und sitzen in den Kaffeehäusern oder halten sich in ihren Häusern auf. Die Straßen sind leer und manchmal frage ich mich, wohin die vielen Menschen alle so lautlos verschwinden. Lediglich die Kinder sind zu jeder Tageszeit unterwegs und spielen in den Gassen, aber ich habe den Eindruck, auch das geschieht zur Mittagszeit leiser als sonst. Überhaupt hört man kaum schreiende oder gar gröhlende Kinder. Der Oman ist ein leises Land, dezent aber bestimmt in dem, was es auf seine Art und Weise sagt.

Die Klimaanlage in der hochmodernen Tankstelle läuft auf Hochtouren. Es sind wohltemperierte 18°C, die Schiebetüren öffnen sich lautlos und vollautomatisch. Im Hintergrund in einem kleinen Raum sitzt noch ein weiterer Mann, der allerdings wenig interessiert nur einen schnellen Blick durch die offenstehende Tür wirft, mich kurz und interesselos mustert und sich dann wieder seiner Zeitung widmet. Ich frage zaghaft nach der Toilette. Ich habe ein bißchen ein schlechtes Gewissen, weil ich nichts kaufen möchte. Da fällt mein Blick auf die Eisbox und ich beschließe spontan, mir auf dem Rückweg von der Toilette ein wunderbares Schokoladeneis zu gönnen. Kalt, kühl, cremig, dass sind meine ersten Gedanken. Mein schlechtes Gewissen ist auf der Stelle verschwunden. Sie reicht mir den Schlüssel für die Toilette über den Kassentresen und erklärt mir den Weg. Die Gänge sind lang und dunkel, es ist ruhig. Endlich finde ich den ersehnten Ort und bin zudem angenehm von dessen Zustand überrascht. Auf unserer Reise habe ich mittlerweile auch schon andere stille Örtchen erlebt, die nur kurz zum Verweilen eingeladen haben.

Wieder zurück im Verkaufsraum mustern wir uns gegenseitig. Ich schleiche um die leise vibrierende Kühltruhe, die Frau “mustert” mich von oben nach unten und fragt sich sicherlich, was eine Frau dazu bringt, in dreckigen, dicken, unvorteilhaften, offensichtlich auch unbequemen und nach zwei Wochen zudem nicht gerade mehr wohlriechenden Motorradklamotten und klobigen Crossstiefeln im Oman unterwegs zu sein. Sie hat schon zielsicher registriert, dass ich alleine unterwegs bin. Zumindest für heute, hier an der Tankstelle. Sie fragt mich in perfektem Englisch, ob ich nicht schon gestern an dieser Tankstelle gewesen bin, mit mehreren anderen Motorradfahrern. Ich bejahe und erinnere mich auch plötzlich, dass ich die Frau gestern schon in der Tankstelle gesehen habe. Allerdings mehr im Hintergrund, beim Einsortieren der Waren in die Regale. Gestern standen mehrere omanische Männer an der Kasse und in dem ganzen Trubel – ich war mit unserer Gruppe unterwegs und wir wollten weiter zum Turtle Beach nach Al-Junayz, dem Meeresschildkrötenreservat hier ganz in der Nähe – war sie mir nicht besonders aufgefallen. Sie will wissen, wo meine “Reisebegleiter” sind, wundert sich offensichtlich etwas über meine Antwort, als ich sage, dass die Männer unser Abendessen einkaufen und jetzt wahrscheinlich schon im Cafe sitzen und Kaffe trinken und dann muß sie plötzlich verschmitzt grinsen. Meine Antwort, dass ich etwas Ruhe und Alleinsein vorgezogen habe und es ganz angenehm finde, dass die Männer den Einkauf erledigen, scheint sie schwer zu belustigen. Eine Tankstelle als Ort der Ruhe auszuwählen ist sicherlich ein Lachen wert. Andererseits können wohltemperierte 18° C auch von Zeit zu Zeit einen ganz besonderen Reiz auf gewöhnliche Mitteleuropäer ausüben. Jetzt wo wir alleine sind – der Zeitung lesende Mann im Hinterzimmer interessiert sich nicht für das, was sich derzeit im Verkaufsraum abspielt – fällt es leichter, ins Gespräch zu kommen. Sie will wissen, ob ich alleine unterwegs bin oder ob wir eine organisierte Reise sind, was wir schon gesehen haben, wo wir herkommen und wo wir noch hinwollen. Ob es uns im Oman gefällt. Eine sehr häufig gestellte Frage auf unserer Reise. Die Omanis sind offensichtlich sehr stolz auf ihr Land und ihre Kultur, fragen sich aber trotzdem, wie ihr Land auf Besucher aus einer anderen Welt wirken mag. Was mein husband dazu sagt, dass ich mit neun Männern und einer Frau reise und dazu noch mit dem Motorrad – sie ist ziemlich überrascht, als ich ihr sage, dass ich allein reise und nicht verheiratet bin. Ich weiß nicht, ob es an meinen mangelnden Englischkenntnissen oder meiner falschen Wortwahl liegt, aber ich meine, eine kleines Fragezeichen durch ihr Gesicht huschen zu sehen. So richtig weiß sie immer noch nicht, was sie mit mir anfangen soll. Etwas suspekt erscheine ich ihr immer noch. Ihr Gesicht hellt sich auf, als ich ihr erzähle, wo wir herkommen und was wir alles schon gesehen haben und wie gut es uns im Oman gefällt, wie wohl wir uns fühlen. Auch ich als Frau habe keine Bedenken, mich alleine zu bewegen. Ich fühle mich zwar beobachtet – was vielleicht auch einfach an meinen Motorradklamotten liegen mag – aber eher neugierig denn skeptisch oder gar mißtrauisch. Es gibt einige Orte in Deutschland, wo ich mich sicherlich erheblich befangener und vorsichtiger bewegen würde als im Oman.

Sie lacht, als ich ihr sage, dass ich ein bißchen die gute Schokolade aus Deutschland vermissen würde, dass es auf unserer Reise aber schwierig ist, die Schokolade den Tag über in einer entsprechenden Konsistenz zu halten, so dass sie abends noch essbar ist. Lachend scannt sie das Eis in die Kasse, schiebt das Eis über den Tresen und gibt mir mein Wechselgeld. Sie fragt, ob wir noch einmal wiederkommen, ich verneine lächelnd. Zum Abschied schenkt sie mir ein kleines Erfrischungstuch – auf die immer sauberen und wohlgepflegten Omanis hinterlasse ich anscheinend einen leicht verwahrlosten Eindruck mit meinen dreckigen Hosen und Stiefeln. Der Wunsch für eine weiter gute Reise begleitet mich durch die Tür hinaus in die Mittagswärme. Ich drücke den Startknopf, lege den ersten Gang ein und fahre bedächtig los Richtung Zentrum, um die anderen zu suchen. Die Mittagssonne scheint hart in meinen Nacken. Es prickelt auf der Haut. Das nächste motorradtechnische Abenteuer wartet bereits!

Text von Sabine Pfannerstill
(Weitere Texte/Reiseinformationen zum Oman auf Nachfrage. Kontakt unter info@hans-ehle.de
oder unter
www.einfach-losfahren.de )

 

Wolfgang wird von allen Kiddis belagert. Die Freude an tollen Maschinen ist auf der Welt überall gleich.

Ein Lagerplatz unter freiem Himmel. Es ist erlaubt und wird toleriert. Oder -- unsere Erfahrung war, wir wurden belächelt.
Zelten -- auf steinigem Boden, ohne Dusche ??
Für einen Omani extrem seltsam, obwohl seine Vor- fahren so gelebt haben.
Für einen Europäer ein Abenteuer, oder eine Art zu sein wie er es selten finden kann.